Das Blaue Sofa in Berlin

28.09.2017 | Bertelsmann Repräsentanz Unter den Linden 1

Zur Einstimmung auf die Frankfurter Buchmesse in der kommenden Woche präsentierte das Literaturformat „Das Blaue Sofa“ mit Gaël Faye, Marie NDiaye und Leïla Slimani drei hochkarätige und prämierte französische Autoren in der Berliner Bertelsmann-Repräsentanz. Mehr als 150 Gäste nutzten die Gelegenheit, um sich in zahlreichen Gesprächen über das Gastland Frankreich und dessen vielfältige Literatur auszutauschen.

1. Reihe v.l.n.r.: Marie NDiaye, Leïla Slimani, Barbara Wahlster, Helen Müller // 2. Reihe v.l.n.r.: Paul de Sinety, Juergen Boos, Anne-Marie Descôtes, Dirk Fuhrig, Gael Faye

Mit mehr als 270 Millionen Menschen, die Französisch als Muttersprache sprechen, kommt der französischen Literatur weltweite Bedeutung zu. Auch bei der anstehenden Frankfurter Buchmesse wird sie im Mittelpunkt stehen: In der nächsten Woche werden knapp 200 französischsprachige Autorinnen und Autoren unter dem Motto „Frankfurt auf Französisch“ ihre aktuellen, ins Deutsche übersetzten Bücher vorstellen. Auch „Das Blaue Sofa“, das erfolgreiche Literaturformat von Bertelsmann, dem ZDF und Deutschlandfunk Kultur, widmet sich in diesen Tagen mehrfach dem Thema Frankreich: zum einen vom 11. bis 15 Oktober täglich am Buchmessestand, zum anderen mit zwei Abendveranstaltungen in Frankfurt und, in der vergangenen Woche, in Berlin.

v.l.n.r.: Gael Faye, Anne-Marie Descôtes, Immanuel Hermreck, … , Dirk Fuhrig

Bereits zum dritten Mal machte „Das Blaue Sofa“ in der Bertelsmann-Repräsentanz Unter den Linden 1 Station, um im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse mit „ausgezeichneten“ Literaten auf den Ehrengast Frankreich einzustimmen. Im Mittelpunkt der literarischen Soirée standen die Goncourt-Preisträgerinnen Marie NDiaye und Leïla Slimani sowie Gaël Faye, Träger des Publikumspreises „Prix Goncourt des Lycéen“. Mehr als 150 Gäste aus Politik, Kultur und Medien verfolgten die Beiträge und Diskussionen.

„Erneuerer einer französischsprachigen Literatur“

In ihrer Begrüßung ging Helen Müller, Leiterin der Bertelsmann-Repräsentanz, auf die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich ein und erinnerte an Goethe, den Schöpfer des Begriffes „Weltliteratur“, und an Autoren der Frühromantik. Sie alle hatten gegen die existenziellen Erfahrungen der napoleonischen Kriege und die damit verbundenen Umbrüche und Unsicherheiten neue Konzepte des Zusammenlebens und Zusammenarbeitens gesetzt. Mit neuen Kommunikationsformen schufen sie eine literarische Öffentlichkeit, durch die sie über die engen politischen Grenzen hinaus wirken konnten. „Je mehr wir uns mit unseren Autoren und mit Büchern beschäftigen“, erklärte Helen Müller, „desto besser begreifen auch wir unsere komplexe Welt und finden uns in politisch wirren Zeiten besser darin zurecht.“

Anne-Marie Descôtes, Botschafterin der Republik Frankreich

Die französische Botschafterin Anne-Marie Descôtes würdigte „Das Blaue Sofa“, das auch in Frankreich bekannt sei: „Gaël Faye, Marie NDiaye und Leïla Slimani reihen sich ein in die Riege von über 2.500 internationalen Autoren und Nobelpreisträgern, die in den vergangenen 17 Jahren vom ‚Blauen Sofa‘ zum Verweilen und Erzählen eingeladen wurden.“ Die Botschafterin dankte Bertelsmann, Deutschlandfunk Kultur und dem ZDF herzlich für die Organisation dieses Literaturabends und lobte die Auswahl der Autoren: mit Slimani, NDiaye und Faye habe man nicht nur anerkannte Literatur-Preisträger ausgewählt. Alle drei seien vielmehr die „Erneuerer einer französischsprachigen Literatur, die der Welt mit großer Offenheit gegenübersteht und die insbesondere den Stimmen weiblicher Autorinnen mehr Gehör verschafft.“ In diesem Zusammenhang wies Anne-Marie Descôtes darauf hin, dass in der über hundertjährigen Geschichte des Prix Goncourt sich bis jetzt nur zwölf Frauen unter den Preisträgern befinden. Mit Marie Ndiaye und Leïla Slimani nahmen gleich zwei von ihnen auf dem „Blauen Sofa“ in Berlin Platz.

Ausweitung auf den französischen Sprachraum

Dank der unzähligen Übersetzungen dieses Jahres könne man Frankreich in seiner literarischen Vielgestalt und in seiner kulturellen, thematischen und stilistischen Diversität neu vermessen, führte Barbara Wahlster in den Abend ein. Die langjährige Literaturredakteurin bei Deutschlandfunk Kultur versprach eine Literaturlandschaft, „die uns unterhält und provoziert, die im Roman Fragen nach dem ‚wir‘, nach dem Zusammenhalt der Gesellschaft stellt, nach prekären Verhältnissen, nach Gewalt und nach dem Kern des Individuums.“

„War es schwierig, die Auswahl der Autoren zu treffen?“, fragte Dirk Fuhrig, der Frankreich-Experte von Deutschlandfunk Kultur Paul de Sinety, der zusammen mit dem Buchmessedirektor Juergen Boos den Gastlandauftritt „Frankreich auf Französisch“ kuratiert hatte. „Wir hätten auch noch 90 andere Autoren ansprechen können und sie wären gekommen“, antwortete de Sinety schmunzelnd und erklärte, dass alle Autoren, denen man eine Einladung geschickt habe, zugesagt hatten. Juergen Boos ergänzte, vor sieben Jahren habe man lediglich die Literatur des Einwanderungslandes Frankreich im Blick gehabt. Mit der Ausweitung des Länderschwerpunktes auf den französischen Sprachraum wären immer mehr Autoren in den Fokus gerückt.

Leïla Slimani (l.) im Gespräch mit Barbara Wahlster

Zeitungsmeldung als Romanvorlage 

Nach den Messemachern erhielten die Autoren das Wort. Zuerst sprach die Luchterhand-Autorin Leïla Slimani über ihren Roman „Dann schlaf auch du“ (Übersetzung: Amelie Thoma). Die ehemalige Journalistin mit französisch-marokkanischem Hintergrund beschreibt darin eine typisch mittelständische Pariser Kleinfamilie: Myriam und Paul wollen ein perfektes Paar sein, das Kinder und Beruf unter einen Hut bringt. Dafür brauchen sie eine zuverlässige Kinderfrau, der sie ihre Kinder Adam und Mila anvertrauen können. Als sie in Louise eine ideale Kandidatin finden, sind sie glücklich. Doch sie wissen nichts vom Leben dieser Frau aus der Banlieue und ahnen nichts von ihren Obsessionen und ihrer Verletzlichkeit – bis die Tragödie über die Familie in Form des doppelten Kindesmordes hereinbricht. Die Idee zu dem Roman fand Slimani in einer Zeitung – der reale Doppelmord geschah in einem bürgerlichen Viertel in New York. Auf die Frage, warum sie diese Tragödie so detailliert und einfühlsam beschreiben konnte, antwortete die Autorin, sie sei oft in der Stadt unterwegs, in Parks und öffentlichen Verkehrsmitteln und belausche ihre Mitmenschen: „Da hört man vieles, was man so gar nicht erfinden kann.“ 

Marie NDiaye (l.) im Gespräch mit Barbara Wahlster

Marie NDiaye, die – teilweise in Berlin – mehr als 20 Romane, zahlreiche Theaterstücke und Hörspiele geschrieben hat, ist eine der produktivsten Schriftstellerinnen Frankreichs. Ihr neuer Roman „Die Chefin. Roman einer Köchin“ (Suhrkamp, Übersetzung: Claudia Kalscheuer) beschreibt, wie eine junge Frau aus einfachen Verhältnissen ihr geniales Kochtalent entdeckt und zur Sterneköchin aufsteigt. Erzählt wird die Geschichte von einem ehemaligen Jungkoch, der in seine doppelt so alte „Chefin“, wie er sie nennt, hoffnungslos verliebt ist. Schwärmerisch schildert er Alltag, Charakter, Umgang, Lieben und Ausbildung seiner Chefin. Aber er ist kein Chronist, denn er scheint vieles zu verschweigen. Mit diesem Roman hat Marie NDiaye eine neuartige Form der Biographie entwickelt, deren Wahrheit darin besteht, dass sie Dinge Satz für Satz verheimlicht.

Gael Faye

Gaël Faye, der wie der Protagonist seines Romans „Kleines Land“ (Piper, übersetzt von Brigitte Große und Andrea Alvermann) in Burundi aufwuchs, musste 1995 vor dem Bürgerkrieg zwischen Hutu und Tutsi und dem Völkermord mit seiner Familie nach Frankreich fliehen. Er beschreibt die glücklichen Tage in seiner Heimat, bis der Bürgerkrieg in das Leben seiner Romanfiguren verstörend eindringt. „Ich wollte eine vergessene Welt heraufbeschwören, von unseren glücklichen Tagen erzählen, bevor wir uns als ein Haufen Versprengter in allen Teilen der Welt wiederfanden“ erklärte Gaël Faye, der als Banker und Sänger arbeitete, bevor er Schriftseller wurde. Auf die Frage, ob seine Eltern über ihr Trauma sprechen konnten, erklärte er, dass seine Eltern nie über ihre Flucht und nur sehr selten über die politischen Verhältnisse und die Auseinandersetzungen zwischen Tutsi und Hutu gesprochen hätten. Für seinen Roman habe er sehr viel recherchieren müssen.