Edgar Selge gehört zu den bedeutendsten Charakterdarstellern Deutschlands. 1948 geboren, wuchs er im ostwestfälischen Herford als Sohn eines Gefängnisdirektors auf. Seine Schauspielausbildung schloss er 1975 an der Otto Falckenberg Schule in München ab. Zuvor studierte er Philosophie und Germanistik in München und Dublin sowie klassisches Klavier in Wien. Für seine Arbeit wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Edgar Selge lebt mit der Schauspielerin Franziska Walser zusammen. Die beiden haben zwei Kinder. "Hast du uns endlich gefunden "ist sein literarisches Debüt.
© Muriel Liebmann
Rowohlt
Das literarische Debüt von Edgar Selge: Ein Zwölfjähriger erzählt seine Geschichte zwischen Gefängnismauer und klassischer Musik. Exemplarisch und radikal persönlich. Eine Kindheit um 1960, in einer Stadt, nicht groß, nicht klein. Ein bürgerlicher Haushalt, in dem viel Musik gemacht wird. Der Vater ist Gefängnisdirektor. Der Krieg ist noch nicht lange her, und die Eltern versuchen, durch Hingabe an klassische Musik und Literatur nachzuholen, was sie ihre verlorenen Jahre nennen. Überall spürt der Junge Risse in dieser geordneten Welt. Gebannt verfolgt er die politischen Auseinandersetzungen, die seine älteren Brüder mit Vater und Mutter am Esstisch führen. Aber er bleibt Zuschauer. Immer häufiger flüchtet er sich in die Welt der Phantasie. Dieser Junge, den der Autor als fernen Bruder seiner selbst betrachtet, erzählt uns sein Leben und entdeckt dabei den eigenen Blick auf die Welt. Wenn sich der dreiundsiebzigjährige Edgar Selge gelegentlich selbst einschaltet, wird klar: Die Schatten der Kriegsgeneration reichen bis in die Gegenwart hinein. Edgar Selges Erzählton ist atemlos, körperlich, risikoreich. Voller Witz und Musikalität. Ob Bach oder Beethoven, Schubert oder Dvořák, Marschmusik oder Gospel: Wie eine zweite Erzählung legt sich die Musik über die Geschichte und begleitet den unbeirrbaren Drang nach Freiheit.
Ein Zwölfjähriger erzählt von seiner traumatischen Kindheit zwischen Gefängnismauer und klassischer Musik. Dieses Kind scheint über einen unzerstörbaren Kern von Optimismus zu verfügen, aus dem der über siebzigjährige Schreiber immer noch seine Kraft bezieht.
Lieblingsbücher entdecke ich immer wieder. Gerade ist es Sigrid Nunez „Was fehlt dir“. Vor Jahren war es „Stoner“ von John Williams. Bücher, in denen mir die Menschen wie Geschwister erscheinen, deren Beobachtungen mich nicht loslassen, so dass ich das Buch aus der Hand legen muss, um sie in mir weiterzuverfolgen.
Ich erinnere mich an Wolfgang Herles und Joseph Bierbichler auf besagtem Blauen Sofa anlässlich des Romans „Mittelreich“. Mir imponierte die Zurückhaltung meines Kollegen. Er wollte nicht als Fachmann seines eigenen Buchs auftreten. Gleichzeitig war ich erschrocken, dass sich ein Schreibender öffentlich so verschlossen zeigen kann.
Am ehesten noch Johnny Cash. Sein Sound erzeugt eine Vorstellung von unaufhaltsamer Bewegung ins Freie. Es könnte sich aber auch um ein Summen im ewigen Stillstand handeln. „Folsom Prison Blues“ etwa.